In seiner Stadtchronik von 1926 berichtet Oberlehrer Schenkl nicht nur von historischen Tatsachen, auch die Bräuche und Sitten der Grafenwöhrer sind niedergeschrieben. Nicht mehr bekannt ist heutzutage der Johannibaum, der wohl im Laufe der Jahrhunderte zum Maibaum mutiert ist. Dieser war vor 200 Jahren Grund zur Klage des Pflegers, denn die Grafenwöhrer machten es ihm nicht immer leicht. In alten Unterlagen beanstandete dieser, dass er viele Gemeinden betreue, aber die Grafenwöhrer am schwersten zu regieren wären. Eschenbach, Kirchenthumbach und alle anderen Orte machten ihm nicht so viel zu schaffen wie Grafenwöhr allein. 1784 beschwerte er sich über die sogenannten „Johannisbäume“. Diese Sitte, am Johannistag, den 24. Juni, einen schönen, abgerindeten Baum, geschmückt mit bunten Bändern, aufzustellen war damals verboten und nicht mehr zeitgemäß. Man fände in keinem Orte mehr einen solchen, bloß in Grafenwöhr haben sie in der Stadt vor dem Rathause und in der Vorstadt einen gesetzt, beklagte der Pfleger. Traditionsbewusstsein liegt den Grafenwöhrern also im Blut. Schenkl beschreibt in seiner Chronik die Grafenwöhrer als ein gar widerspenstig Völklein. Vielleicht war Grafenwöhr damals ein „gallisches Dorf“ wie in den Asterix-Comics und widersetzte sich gerne der Obrigkeit?
Am Johannistag, im Volksmund „Kannestag“ wurde unter Schüssen vor dem Rathaus das Johannisfeuer angezündet. Burschen und Mädel sprangen über das Feuer, in früherer Zeit auch der Bauer und die Bäuerin, damit der Flachs gerate. Damals ging die feuerlustige Jugend an den Tagen vorher von Haus zu Haus und sammelte Holz. In all den Jahrhunderten hat Grafenwöhr schon viele Johannisfeuerplätze gesehen. Am Rathaus, in der Vorstadt, bei der Gabelung Alte Amberger Straße – Vilsecker Straße, später kam der Festplatz gegenüber der Wurstfabrik, auf der Anhöhe an der Bahnhofstraße hinzu. Ende des 18. Jahrhunderts brannte das Johannisfeuer auf dem Schönberg über dem Steinbruch, Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Festplatz auf die Mühlleite verlegt. Nach der Auflassung des Steinbruchs wurde 1926 das Feuer bei der mittlerweile entstandenen Naturbühne am Schönberg angezündet. 1927 organisierte der Verschönerungsverein (heute Heimatverein) ein Rahmenprogramm mit Konzert, Glückshafen, Kinderbelustigung und Ringkämpfen. Höhepunkt war das Sonnwendfeuer, ein Feuerwerk und bengalische Beleuchtung. Leider brannten an diesem Abend neun strohgedeckte Scheunen…
1929 bis 1931 wurde nochmals feierlich die alte Tradition des Johannisbaums gepflegt. Mit einem Vierspänner, mit Rosen geschmückt und in Begleitung von Musik, Reitern, Festjungfrauen und Turnern mit Fahnen wurde der Baum durch die Stadt gefahren. In der Gegenwart ist das Johannisfeuer unter der Regie der Pfadfinder auf den Birka zurückgekehrt und erfreut bis heute die (nicht mehr widerspenstige) Grafenwöhrer Bevölkerung.
Schmökertipp! Viele Anekdoten und Geschichten gibt es zum Nachlesen in der Stadtchronik, die in Buchform oder als DVD im Kultur- und Militärmuseum erhältlich sind.