Jeder Ort verfügt über schützenswerte Kulturstätten, die oft eine interessante und über viele Jahrhunderte lange Geschichte aufweisen. In Grafenwöhr gehört dazu zweifelsfrei das „Alte Kircherl“, das zwischen der Wolfgang- und Ochsenhutsiedlung an der Bundesstraße 299 Richtung Pressath steht.
1484 wurde diese Kirche, die nicht nur eine Kapelle war, mit einem Ursula-Patrozinium erstmals erwähnt. Der Standort lag außerhalb der Stadtmauer, vermutlich in der Nähe des heutigen Platzes. Alte Urkunden aus dem 16. Jahrhundert bezeugen, dass Grafenwöhrer Geistliche dort Gottesdienste hielten. Der Nachweis, dass das Alte Kircherl die erste Pfarr- oder Ortskirche von Grafenwöhr war, noch vor der alten Pfarrkirche Mariä-Himmelfahrt (1424) in der Altstadt, ist nicht erbracht. Die kleine Kirche hatte trotzdem niedere pfarrrechtliche Funktionen, da es in der Nähe einen Friedhof gab. Dieser war für ungetaufte Kinder, Erschlagene und unbekannte Leichen.
Während der Reformationszeit wurde die kleine Ursulakirche geschlossen und ausgeräumt. 1571 kamen die Glocken auf das Rathaus und Pflaster, Stühle und Almosenstock in die Pfarrkirche in der Altstadt. Das Gebäude verfiel immer mehr und es hielt sich immer wieder Gesindel dort auf. Das neben der Kirche stehende „Siechenhäusl“, in dem arme Leute wohnten, stand zu dieser Zeit noch. Das Kircherl wurde 1593 schließlich abgebrochen und man verwendete die Steine 1595 für den Bau der Friedhofskirche, die ebenfalls St. Ursula gewidmet wurde.
Im Zuge der Gegenreformation baute man 1697 eine Maria-Hilf-Kapelle an der Stelle des abgetragenen „Alten Kircherls“. 1698 wurde diese erstmals in einer Kirchenrechnung erwähnt. 1707 hat Pfarrer Wolfgang Sigl eine Inventarliste der „Maria-Hilf-Kapelle“ verfasst: „ein von Holz geschnitztes und gemaltes Unser lieben Frauen Bild samt dem Christkindlein auf dem Arm, auch Kron und Szepter“. Die kleine Kirche auf dem Weg nach Pressath war nun keine Ursulakirche mehr. Während des spanischen Erbfolgekrieges 1701 – 1714 vermerkte Pfarrer Sigl in der Kirchenrechnung, dass die Kapelle großen Schaden erlitten hat. Zu dieser Zeit wurde sie „St. Maria-Hilfskapelle hinter der alten Kirchen“ genannt, so ist es im Bayerischen Staatsarchiv Amberg vermerkt. 1794 wurde das Gebäude durch Maurermeister Caspar Koberger renoviert und bereits 1804 fiel die Kapelle wieder dem Zeitgeist zum Opfer. Dieses Mal war es die Säkularisation in Bayern, der viele katholische Gebäude weichen mussten.
Die Grafenwöhrer hingen an ihrem „Alten Kircherl“ und so wurde 1824 eine neue Maria-Hilf-Kapelle, in der Nähe der heutigen Wolfgangsiedlung, errichtet. 1884 brachte man zum Schutz des Altars ein Gitter an. Maria mit dem Kind ist vermutlich aus dem Jahr 1515 und die Heiligenfiguren St. Ursula mit dem Pfeil und St. Barbara mit dem Turm sind wahrscheinlich älter, aus dem späten 15. Jahrhundert. Wann die Figuren der Hl. Ursula und Hl. Barbara in das Kirchlein kamen, ist nicht bekannt.
Bei der Neuführung der Straße nach Pressath war die Kapelle im Weg und zudem oft Unfallschwerpunkt, deshalb musste diese 1975 abgerissen werden. Die Kapelle stand auf einem Acker, der den Familien Josef Maier und Schwiegersohn Josef Mittermeier gehörte. Die Familien stellten dem Heimatverein die Ablösesumme für die Kapelle zur Verfügung, mit der Auflage, die Kapelle wieder neu aufzubauen. Der Heimatverein übernahm 1976 den Neuaufbau etwa 50 Meter südlich vom alten Standort. In vielen freiwilligen Stunden, vor allem an den Wochenenden, erstellten die Mitglieder des Heimatvereins die Nachbildung der ehemaligen Maria-Hilf-Feldkapelle. In die Mauer der neuen Kapelle wurde eine Niederschrift eingemauert. Sie gibt Auskunft über die Geschichte der Kapelle und welche Personen am Bau beteiligt waren. Angefügt wurden auch die Namen des damaligen Bürgermeisters Walter Asam und des Stadtpfarrers Monsignore Ludwig Schmidt. Mit der Niederschrift mauerte man die zu der Zeit gültigen Münzen im Wert von 1, 2, 5, 10, 50 Pfennig und 1, 2, 5 DM ein.
Die Siedlergemeinschaft St. Wolfgang stiftete für die neu erbaute Kapelle eine Glocke. 1977 traf die 16 kg schwere Glocke, die von der Glockengießerei Rudolf Perner aus Passau stammt, in Grafenwöhr ein. Sie trägt die Aufschrift: „ANNO DOMINI 1977“ und „St. WOLFGANG“ mit einem Bild des Hl. Wolfgang – Bischof von Regensburg. Der Altar wurde an den Heimatverein übergeben und ist seitdem im Kultur- und Militärmuseum Grafenwöhr ausgestellt. Als Ersatz für den holzgeschnitzten Altar wurde von Helmut Langhammer aus Pressath eine Kopie in Ton geformt, in Kunststein gegossen und wie die Originale farbig gestaltet. Über dem Eingang der „Alten Kirche“ wurden beide Baujahre „1824/1976“ angebracht.
Da der allererste Standort der „Alten Kirche“ (15. Jhd.) nicht überliefert ist, wurden im Oktober 1989 archäologische Grabungen in der Flur „Bei der alten Kirche“ durchgeführt. Das Landesamt für Denkmalpflege Regensburg vermutete hier den Ursprung Grafenwöhrs, den sogenannten Hertwigshof und die alte Kirche. Die Grabung ergab keinerlei Hinweise. Ebenso wurde vor der Bebauung der Siedlung „Ochsenhut“ an das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege ein Luftbild geschickt, um eventuell Reste eines Bodendenkmals zu entdecken, jedoch blieb auch diesmal die Suche ohne Erfolg.
1991 übergab der Heimatverein Grafenwöhr das „Alte Kircherl“ an die Siedlergemeinschaft St. Wolfgang, die sich seitdem um den Erhalt und die Pflege kümmert. Obwohl die „alte“ Ursulakirche seit 1593 nicht mehr existiert, hat sich im Volksmund für die drei nachfolgenden Maria-Hilf-Kapellen der Name „Altes Kircherl“ bis heute erhalten. Die unscheinbare Kapelle am Wegesrand verbirgt eine interessante Vergangenheit und verdient es erhalten zu werden.