Unscheinbar steht in Grafenwöhr auf dem Marktplatz eine alte Sandsteinsäule. Auf der mit gewundenen Rillen verzierten, circa 2 Meter hohen Säule sitzt oben ein Quader mit vier Reliefbildern. Sie zeigen die Passion Christi. Die Rede ist von der im Grafenwöhrer Volksmund genannten „Pestsäule“, treffender wäre Passionssäule. Der denkmalgeschützte Bildstock stammt der Art der Darstellung nach aus der Spätgotik. Zu sehen ist die Jahreszahl ..96, vermutet wird das Jahr 1496. Die vier Motive zeigen die Geißelung Christi, das Schweißtuch der Veronika, Jesus das Kreuz tragend sowie die Kreuzigung. Eine nahezu identische Säule, jedoch mit größer gearbeiteten Reliefs, steht in Grub bei Hütten. Für das Ende des 15. Jahrhunderts ist in Grafenwöhr keine Pest bekannt, wahrscheinlich bekam die Passionssäule erst später die Bezeichnung „Pestsäule“.
Erst seit 1982 hat die historische Säule auf dem Marktplatz zwischen Rathaus und der alten Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt ihren jetzigen Platz gefunden. Ursprünglich stand sie, so wird vermutet, weit vor den Toren der Stadt beim Alten Kircherl. Heute kennt man unweit des alten Standorts am Eingang zur Wolfgangssiedlung eine von mehreren Nachgängerbauten der Kirche. In dessen Nähe stand früher ein Siechenhäusl und am Friedhof des Alten Kircherls wurden unter anderem Pesttote bestattet. Das Kircherl wurde 1593 abgerissen, das Siechenhäusl blieb noch einige Zeit bestehen. Mit seiner Auflösung wurde die Pestsäule irgendwann vor die Tore der Stadt am Fuß des Annabergs verlegt. Genauer gesagt vor das Obere Tor, das 1880 bei einem großen Stadtbrand abbrannte und an das heute noch die Obere Torstraße erinnert. Die Pestsäule auf der anderen Seite der Straße am Aufgang zum Annaberg blieb zum Glück verschont.
Ihr gegenüber baute Florian Göppl rund zehn Jahre später im Jahr 1891 seine Brauerei, die später in Löwenbrauerei umbenannt wurde. Es gibt viele Fotos, auf der die Pestsäule, hübsch mit einem Blumenbeet und Eisengitter umrandet und mit einem kleinen Dach versehen, neben der Brauerei auf Höhe der Felsenkeller an der Straße zu sehen ist. Heute steht dort in etwa der Sudhausbrunnen. Von diesem Standort hat sie einen weiteren Namen, der heute in Vergessenheit geraten ist: Dreifaltigkeit (-säule). Die Namensherkunft hat Leonore Böhm im Kirchenarchiv und durch Erzählungen alter Grafenwöhrer ausfindig gemacht. Einst stand an dieser Stelle die Dreifaltigkeitskapelle, die bei der Säkularisation 1803 abgerissen werden musste. Die Erinnerung aber war im Volk lebendig geblieben und alte Grafenwöhrer erzählten Leonore Böhm, dass die Säule „die Dreifaltigkeit“ genannt wurde. Wenn es am Karfreitag um 11 Uhr läutet, so die Sage, sollte sich die Dreifaltigkeit drehen. Als Kinder seien die Erzähler oft gerannt, um das Spektakel zu sehen. Jedoch habe es nie um 11 Uhr geläutet und die Säule habe sich entsprechend auch nie gedreht.
Früher endete die Straße von Pressath am Oberen Tor und man musste durch die Altstadt und durch das Untere Tor, um in Richtung Amberg weiterzukommen. Mit dem Bau der Umgehungsstraße 1953 am heutigen Stadtpark vorbei, wurde die Pressather Straße erweitert und die Pestsäule ragte zu weit in die Straße hinein. Deshalb fand sie einen neuen Standort rund 30 Meter weiter oben am Annaberg auf dem ersten Plateau, auf dem heute eine Sitzgruppe mit Tisch zum Verweilen einlädt.
Als 1982 der Marktplatz saniert wurde, gab man ihr einen neuen präsenteren Platz mitten auf dem Marktplatz. Dieser Standort ist sehr passend gewählt, denn am Grafenwöhrer lokalen Feiertag St. Sebastian, an dem ein altes Pestgelübde erfüllt wird, ist die Säule seitdem der Mittelpunkt beim gemütlichen Zusammensein nach dem feierlichen Festgottesdienst. Man trifft sich dort zum Tee trinken und lässt sich seit 1984 das spezielle Grafenwöhrer Gebäck zu St. Sebastian, Hefepfeile, schmecken. Diese symbolisieren die Pfeile mit denen der Heilige Sebastian ermordet wurde.
So wird die Passionssäule heutzutage bei der Erfüllung des alten Pestgelübdes ihrem volkstümlichen Namen „Pestsäule“ nach Jahrhunderten doch noch gerecht.