Ein markanter großer Bau am Rand der Altstadt, idyllisch am Stadtweiher gelegen, grüßt Autofahrer im Vorbeifahren. Das im Volksmund „Kastenhaus“ genannte Gebäude beherbergt heute das Kultur- und Militärmuseum, seine Geschichte reicht aber schon fast 500 Jahre zurück. Es gehört damit neben Rathaus (1462), Alter Pfarrkirche (15.Jhd) und Stadtmauer zu den vier ältesten Bauwerken in Grafenwöhr.
Getreidespeicher und ein Bärenloch
Gebaut wurde es mit drei Geschossen, einem Dachboden, zwei Spitzböden sowie einem Toranbau als Getreidespeicher für die Lagerung der Steuereinnahmen des Pflegamts. Früher mussten die Bauern und Ackerbürger den Zehent, also ein Zehntel ihrer Ernte, als Steuer abführen. Deshalb wird das Gebäude auch als Zehentkasten bezeichnet. Es wurde 1532 fertiggestellt, ein Eckstein mit dieser Jahreszahl in der Nord-Ost-Fassade in der Martin-Posser-Straße zeugt davon. Mitten durch das Kastenhaus läuft eine große Durchfahrt, in der die Grafenwöhrer ihre Naturalien mit dem Pferdefuhrwerk ablieferten. Eine Einkerbung für einen Sperrbalken sowie ein Guckfenster zur Abwicklung sind heute noch zu sehen.
In alten Dokumenten finden sich Erläuterungen zum Kastenhaus und einen Vorgängerbau. Der Pfleger von Grafenwöhr, Hans Pfreimbder, stellte 1527 an Herzog Friedrich den Antrag für die Überlassung eines verfallenen Hauses mit Hof und Garten, um dort ein Wohnhaus für sich und seine Frau zu errichten. Da sie kinderlos seien, fiele der Bau nach seinem Tod an den Fürsten zurück und dieser könne daraus eine „Troidschütt“ machen. Bis ins 18. Jahrhundert diente das Kastenhaus somit dem Pflegamt als Getreidespeicher und im Erdgeschoss als Wohnung für den Gerichtsdiener, später den Amtsschreiber. Deshalb wurde das Kastenhaus auch als „Schloss“ bezeichnet. Das ursprüngliche Grafenwöhrer Schloss stand sehr wahrscheinlich gegenüber, dort, wo sich heute die Militärabteilung des Museums befindet, es brannte jedoch 1598 ab. Eine Besonderheit im Kastenhaus ist das „Bärenloch“, ein kleines Kellerverlies, das als Arrestzelle für Verurteilte des Pflegamts diente.
Eine Großbäckerei, ein Wetterschaden und die Kastner
Im Österreichischen Erbfolgekrieg 1744 besetzten Österreichische Truppen Grafenwöhr und bauten im Kastenhaus fünf Proviantbacköfen sowie Mehl -und Brotkammern ein, die nach Abzug der Truppen rückgebaut wurden. Grundmauern davon wurden bei Renovierungsarbeiten 1992 entdeckt.
1760 wurden Gebäude und Dach durch einen Blitzschlag schwer beschädigt, zwei Dachsparren waren von oben bis unten zersplittert. Die Reparatur wurde verschleppt, weil aus München kein Geld kam. Eine achtwöchige Regenperiode im Sommer führte dazu, daß die Böden bis ins Erdgeschoss durchnässt wurden und das eingelagerte Getreide Schaden nahm. Erst im Dezember 1760 wurden vom bayerischen Kurfürst Max Joseph die Reparaturgelder bewilligt.
Nach der Auflösung des Pflegamts verkaufte der Staat das Gebäude im Jahr 1810 an privat. Zunächst waren Thoma die neuen Besitzer, ab 1815 gehörte das Kastenhaus jahrzehntelang Familie Kneidl. Diese nutzten es mit dazugehörigen Scheunen landwirtschaftlich und hatten auf Grund ihres Wohnsitzes den Hausnamen „Kastner“ inne. Alte Aufnahmen um 1900 zeigen das Kastenhaus mit dem großen Hof, der alten Eiche und dem Storchennest auf dem Giebel.
Einzug der Geschichte
1938 kaufte die Stadt Grafenwöhr das Gebäude und richtete im ersten Stock den Treffpunkt für die Hitlerjugend ein. Das Gewölbe im Erdgeschoss diente der Feuerwehr als Geräteraum. Diese hatte schon 1933 am Giebel des 18 Meter hohen Kastenhaus eine Trockenanlage für Schläuche gebaut. Im Januar 1945 musste die Schule aus dem Rathaus ins Kastenhaus ziehen und 2 Notklassenräume wurden gezimmert. Heizmaterial mussten die Kinder von zu Hause mitbringen. Nach dem Krieg fanden Flüchtlinge und Ausgebombte eine Notunterkunft im Kastenhaus. Ab 1952 durfte der Heimatverein das Gebäude als Heimatmuseum einrichten und 1956 eröffnen, da das erste Museum im Alten Pfarrhof 1945 von Bombentreffern beschädigt worden war. Zu Zeiten des alten Heimatmuseums war eine Vogelvoliere am Kastenhaus eine viel besuchte Attraktion. Neben dem Torbau wurde ein Backofen gebaut, der alljährlich zum Backofenfest angeschürt wird.
Zwischen 1990 und 1992 wurde das ehrwürdige Kastenhaus komplett renoviert und zukunftsfähig gemacht. Ein moderner Anbau verbindet seitdem die Verwaltung im Torschusterhaus mit dem Kastenhaus. Der Ausstellungsschwerpunkt änderte sich vom Heimatmuseum zum Kultur- und Militärmuseum mit Geschichte der Stadt und des Truppenübungsplatzes. Im alten Gewölbe finden standesamtliche Trauungen statt.
Oberlehrer Schenkl wünschte dem Kastenhaus in seinen Aufzeichnungen von 1925: „Möge auch dieser Zeuge vergangener Tage, der mit dem gewaltigen Storchennest auf seinem Firste ein Wahrzeichen unserer Stadt geworden ist, den Nachkommen erhalten bleiben“.
Dem ist nichts hinzuzufügen.