„Der moralische Zustand und der Grad der Geisteskultur dieser Stadt und Gegend sind noch weit unter dem meist traurigen Zustande ihrer Gewerbe und häuslichen Verhältnisse und ihre Nachwelt wird auf diese Art in einem Jahrhundert nicht wohlhabender und glücklicher sein“, so lautete ein Bericht über Grafenwöhr Ende des 18. Jahrhunderts an die Regierung. Kein wirklich gutes Zeugnis für die Stadt. Was war geschehen?
Katastrophale Zustände herrschten Ende des 18. Jahrhunderts in Grafenwöhr. Sowohl Räte als auch Bürger machten was sie wollten und widersetzten sich jeglichen Regeln und Anordnungen. Die Regierung in Amberg musste eingreifen, stellte die Stadt unter staatliche Aufsicht und schickte eine Kommission, in Form eines Direktionsrates, der erstmal die korrupten Räte absetzen und eine ordentliche Wahl durchführen sollte. Als weiterer Schritt wurden alle Protokolle und Rechnungen zu den vorgebrachten Beschwerden der Bürger untersucht. Die wohl schwierigste Aufgabe war die Fragestellung, wie man das Wirtschaftsleben wiederbeleben könnte. Als Kommissar wurde der in der Oberpfälzer Geschichtsschreibung bekannte Direktionsrat Joseph von Destouches geschickt, dessen Berichte überliefert sind. Am 7. Mai 1800 fanden unter Aufsicht des Direktionsrates die Ratsneuwahlen statt, danach machte sich Destouches daran, die in Grafenwöhr herrschenden Missstände zu untersuchen. Bei den Stadtkammerfinanzen fand er insgesamt sieben Fehler, die sich auf einen Fehlbetrag von über 170 Gulden summierten. Nachweislich korrupte Geschäfte veranlasste er rückgängig zu machen. Ein weiteres Problem war, dass Einnahmequellen für die Stadt fehlten. Seit dem Mittelalter wurde Raubbau mit dem Stadtwald betrieben, dieser war in katastrophalem Zustand. Weiterhin waren die Felder der Stadt viel zu günstig verpachtet, Destouches ließ diese innerhalb 14 Tagen neu und zu ordentlichen Preisen ausschreiben. Für manche Beschwerden befragte der Kommissar Zeugen. So kam heraus, dass der Bürgermeister den Handwerker, der im Kommunbrauhaus den Braukessel repariert hatte, genötigt hatte 16 Gulden mehr auf die Quittung zu schreiben, als er erhalten hatte. Ein anderer musste der Stadt einen Blankoschein unterschreiben, ohne überhaupt etwas geliefert zu haben. Mit Ziegeln, die für die Stadtmauer vorgesehen waren, wurde stattdessen die Stadtschreiberei neu eingedeckt. Auch innerhalb des Stadtrates musste er schlichten, da Räte wohl bei wichtigen Entscheidungen nicht gefragt worden waren.
Nun wartete die schwierigste Aufgabe auf ihn. Wie konnte man aus der Stadt, die am Boden liegt, wieder eine blühende Landschaft machen? Destouches beschreibt zunächst schonungslos den Ist-Zustand, bei dem Grafenwöhr gar nicht gut wegkommt. So sei die physische Lage der Stadt nicht günstig, die Umgebung besteht aus dürren Wäldern und sandigen Böden. Grafenwöhr liege isoliert ohne Anbindung zu einer Großstadt und unbeholfen zwischen Hügeln, wo der Dunst aus den Weihern aufsteigt. Es gebe keinen Kommerz und keine wirkliche Einkommensquelle. Das Stadtvermögen setzt sich größtenteils aus Wäldern und Weihern zusammen, deren Nutzung nachteilig und nicht wirtschaftlich ist und der Zustand der Besitztümer sei katastrophal.
Die insgesamt 129 Bürger der Stadt lebten allesamt vom Ackerbau und ihrem Handwerk, das sie zugleich ausüben müssen, um überleben zu können. Ein Bericht moniert, dass dadurch beide Zweige nur unzulänglich ausgeführt werden könnten und Kenntnisse in beiden Gewerben fehlten. Er bezeichnet dies als „niveaulose Verbindung von Ackerbau und Gewerbe“. Ein Vorschlag war auch, dass Weiher trocken gelegt und als Wies- und Ackergründe verwendet werden sollten bzw. einige dieser Gründe verkauft werden, um mit dem Erlös die Austrocknung der anderen zu finanzieren. Weitere Vorschläge des Direktionsrates für neue Erwerbsquellen waren der Bau einer Spiegelschleife oder der Hopfenanbau. Direktionsrat Destouches schloss seinen Bericht mit den Worten: „Damit ist die Arbeit der Commission abgeschlossen. Man hat 4 Tage bis spät in die Nacht gearbeitet.“
Viel Hoffnung steckte Destouches allerdings nicht in seine Ideen, zweifelte er doch am Gesamtpaket Grafenwöhr, nicht nur am schlechten wirtschaftlichen Zustand, sondern insbesondere an Geist und Sitte der Grafenwöhrer. Das Eingangszitat stammt von ihm und so prophezeite er: Große Einnahmequellen seien die nächsten hundert Jahre nicht in Sicht. Und so war es tatsächlich. Das Landstädtchen befand sich in einem hundert Jahre währenden Dornröschenschlaf, bis es Anfang des 20. Jahrhunderts vom Truppenübungsplatz wachgeküsst wurde und sich bis heute zur Kleinstadt mit internationalem Flair mauserte.