An der Ladentheke einer Bäckerei hat der Kunde heutzutage die Qual der Wahl. Eine Vielzahl verschiedener Brote liegt zur Auswahl bereit, die Artenvielfalt der Brotsorten in Deutschland sucht weltweit ihresgleichen. Innerhalb kürzester Zeit halten wir das gewünschte Brot in Händen und an jeder Ecke gibt es frischen Nachschub. Mit dem Wert eines Brotes früherer Zeiten hat das nicht mehr viel zu tun.
In Zusammenhang mit einem Artikel zum Brotbacken hat sich bereits 1961 der Grafenwöhrer Oberlehrer Josef Richter Sorgen gemacht: „Viel Altes und oft sehr Sinnvolles ist besonders in den letzten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts dahingegangen. Der moderne Mensch wird es wohl nicht missen. Ob aber die neuen Werte, die er sich dafür eingetauscht hat, ihn vor dem schlimmen Übel der innerlichen Vereinsamung und Verflachung retten können, ist die große Frage unserer Zeit.“ Was hat er damit wohl gemeint?
Das Brotbacken war früher ein Gemeinschaftswerk
Mühlen, zu denen die Grafenwöhrer Ackerbürger ihr Korn brachten, gab es genug, Brot backen mussten sie schon selbst. Zu diesem Zweck gab es in der Alt- und Vorstadt mehrere öffentliche Backöfen. Das Brotbacken war grundsätzlich Frauensache und wurde in der Gemeinschaft verrichtet. Den Teig bereitete man zu Hause vor, brachte ihn in Strohschüsseln zu den Backöfen und auf den gemauerten Steinbänken stand er aufgereiht bereit. Die Backschichten teilten sich die Frauen untereinander selbst ein. Schon sehr früh am Morgen musste der Backofen eingeheizt werden, um später ein gutes Ergebnis erzielen zu können.
Ein Festtag für Kinder
Der bereits verstorbene Monsignore Karl Wohlgut hinterließ seiner Heimatstadt Grafenwöhr neben historischen Geschichten auch unterhaltsame Anekdoten unter anderem aus seiner Kindheit. Für ihn und seine Kameraden waren die Brotbacktage in der Stadt immer ein besonderes Erlebnis. Die Frauen der Vorstadt bevorzugten den Backofen beim Friedhof, wie er erzählt. Wenn sich die „Moiermichl Lina“ dort zum Brotbacken einfand, war er mit seinen Kameraden mit dabei. Bis die ersten Brotlaibe ausgebacken waren, malten sie mit Holzkohle ein Fußballtor an die Backofenwand und der Ball rollte unaufhaltsam auf das Tor zu. Lina wusste längst, was die kleinen Besucher begehrten und teilte den ersten Brotkuchen unter ihnen auf. Sie saßen dabei brav auf der Steinbank vor dem Backofen und schlangen das heiße Brot so schnell hinunter, dass ihnen der Magen schmerzte. Der Backofen an der Stadtweiherbrücke war das Revier seiner Großmutter. Hier durfte er manchmal beim Heranschaffen und Aufschichten des Brennholzes helfen, denn die Sorge um den Teig war der Großmutter wichtiger. Die Brotfladen für die Kinder wurden manchmal auch mit Zucker bestreut. Welch ein himmlischer Duft musste an diesen Backtagen über der Stadt liegen.
Öffentliche Backöfen – Relikte aus alter Zeit
Überliefert ist, dass es im 18. Jahrhundert zehn öffentliche Backöfen in Grafenwöhr gab, die meist nicht genutzt werden konnten, da es an allem fehlte. Schuld daran waren damals Kriegs- und Teuerungszeiten. 1730 klagte der Rat, dass diese Feuerstätten brach liegen und deshalb kein Bissen Brot zu haben sei. Das Backen des Schwarzbrotes oblag damals schon den Hausfrauen. Die Bäcker stellten meist nur das Weißbrot her und nannten sich deshalb selbst „Weißpöckhen“. Auf dem Urkatasterplan von 1839 sind noch sechs öffentliche Backöfen eingetragen. Drei davon standen in der Altstadt: beim Gradlhafner am Oberen Tor, am Stadtweiher und beim Kommunbrauhaus. In der Vorstadt gab es auf Höhe der Mitte der Neuen Amberger Straße einen Backofen, einen an der Abzweigung in die Schulstraße (gegenüber Nahkauf Pappenberger) und einen weiteren in der Nähe des Friedhofs. Mittlerweile sind diese Backöfen alle verschwunden. Lediglich beim Kastenhaus hatte man später nach dem Krieg, mehr aus Nostalgie als aus Notwendigkeit, einen neuen erbaut. Zum jährlichen Backofenfest kommt dieser zum Einsatz und der Heimatverein Grafenwöhr verwöhnt seine Besucher im Innenhof des Kultur- und Militärmuseums mit leckeren Spezialitäten.
Kulturgut „Brotbacken“
Auch heute legen die Grafenwöhrer für ihr Brot noch selbst Hand an. Altersgründe bewegten den „Stadtmühl-Bäcker“ Hans Speckner dazu, 2018 sein Geschäft zu schließen. Aber auf ihr Holzofenbrot, das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist, wollten die Grafenwöhrer nicht verzichten und so gründeten sie im April 2019 den Verein „Brot- und Backverein Stadtmühle“. Das Interesse der Grafenwöhrer an ihrem „Stadtmühlbrot“ hat die Erwartungen der Veranstalter übertroffen. Von April bis Oktober gibt es einmal im Monat leckere Holzofenbrote und Zwiebelkuchen. Lehrer Richters Befürchtung hat sich Gott sei Dank nicht bestätigt, hier wird ein Stück Kulturgut gepflegt, welches im Kreise Gleichgesinnter zugleich der „Vereinsamung“ entgegenwirkt.